TUAREG 2010 ( >Tuareg 2009)

Lieber Pitter,

mit Deinem Bericht über Deine erste Wüstenrallye (http://www.motocamp.de/action/rallye/tuareg-2007/tuareg-rallye-2007-erfahrungsbericht) hat alles begonnen. Jetzt bin ich auch Wiederholungstäter und, da Du verhindert warst schreibe ich Dir, wie es 2010 gelaufen ist.

Der lange harte Winter hat auch dieses Jahr kein Off Road Training zugelassen. So billig wollte ich mich (ausnahmsweise) nicht aus der Affaire ziehen und hab im Fitnessstudio ordentlich Herz-Kreislauf und Kraft-Ausdauer trainiert. Damit die Grundlagenkondi die mangelnde oder eingerostete Fahrpraxis ein bisserl kompensiert.Das wars auch schon mit Heldentaten. Im vorauseilenden Organisationswahn hatte ich dem Auto schon mal die Sommerreifen montieren lassen und während ich im Schneegestöber über die Wiener Stadtautobahn drifte, hört man im Radio, dass am Grenzübergang La Jonquera von Frankreich nach Spanien 2000 LKWs in 2 Meter Neuschnee festhängenDer halbe Weg ins Ziel ist auch dieses Jahr der bis zur Startlinie

die Benco Bande - Wolfgang, Klaus und Max

Trotzdem, Klaus Max und ich laden das Equipment in den Kombi, die drei Enduros auf den Hänger, und kommen dank mittlerweile geräumter Strassen nach 28 Stunden, 220 L Diesel, 130 € Maut problemlos in Almeria Südspanien an. Hinter uns liegen 4 Monate Winter, vor uns kilometerlange Sandstrände, Palmen, blauer Himmel und die Wüstenrallye!

Im Sandkasten

Am Treffpunkt stehen in Reih und Glied wieder monströse Service-Trucks und Motorräder, die unsere Rallyeherzen höher schlagen lassen! Darunter auch Exoten wie eine 89er Yamaha Tenere oder eine BMW R100GS. Auch schwerere Geschosse der neuesten Generation wie KTM Super Enduro oder BMW HP2 sind zu sehen. Das Gros bilden jedoch kleinere Einzylinder Gatschhupfer von 250ccm bis 690ccm.

Papierkram

Am Hafen alte und neue Bekannte begrüßen, Roadbooks markieren, kleben und die übliche Anstellerei. Und wie üblich ist alles bestens organisiert. Bis auf mich. Beim Aufspielen der Waypoints auf das GPS stellt sich heraus, dass mein guter alter Garmin 12XL nach all den Jahren und Strapazen das Zeitliche gesegnet hat. Er hat wohl noch Lebenszeichen von sich gegeben, die ich daheim als volle Funktionsfähigkeit (fehl)interpretiert hatte. Charaktertest: in eine Wüstenrallye ohne GPS starten ist wie den Mount Everest besteigen ohne sich wegen der daheim vergessenen Steigeisen zu sorgen. An diesem Punkt 10.000fachen Dank an Michael vom Dessert Sharks Team, der mit sensationeller Selbstverständlichkeit sein Ersatzgerät hergeborgt hat!

Sardinendosenfeinspitz

Nächtliche Überfahrt nach Nador, Marokko. Start. Wieder ohne hundertausend jubelnder Fans, Rampe und Blitzlichtgewitter. Die Tuareg ist auch nicht die „köstliche Schmerzoper“ wie die Dakar, mit der sie den Vergleich eigentlich nicht nötig hat. Übrigens haben auch heuer wieder einige Dakarfahrer vom kameradschaftlichen „Spirit“ geschwärmt, der nicht nur unter den Teilnehmern sondern auch zwischen Orga und Fahrern herrscht!

Heavy Metal (BMW R100GS)

Auch heuer darf wieder Adrenalin ins Blut, es kommt leichte Nervosität auf. Wird alles klappen, ist alles eingepackt, werde ich bzw. wird das Motorrad durchhalten? Die Zeitkarten werden ausgegeben und für Zweifel bleibt kein Platz mehr.


Klingt nach Stress und äußert sich in der Praxis so: Klaus und ich fahren gemeinsam, diesmal auch die Sonderprüfungen. Während viele nach dem Eintrag der Startzeit zum Bike wetzen schlendert Klaus erst mal gemütlich zu seiner „Kanten“ (KTM EXC400). Das Mädel von der Orga: „Jungs, Ihr wisst eh, dass die Zeit läuft!“ Klaus lapidar: „Ja, danke, wir holen sie dann eh ein.“

Size does not matter!

Härtetest für die Profis: der so genannte „Eselspfad“ soll die Spreu vom Weizen trennen. Die selektive Auffahrt wird nicht nur durch Felsbrocken sondern auch mit Motorrädern der etwas zu ambitionierten Teilnehmer erschwert.  Einige „parken“ ihre Maschinen so unvorteilhaft (und sehr unsouverän) im Steilhang, dass es bis in die Nacht dauern wird um sie zu bergen. Wer von der Etappe zu sehr geschafft wird,  darf straffrei zu den Amateuren wechseln. Und jetzt verrate ich Dir ein Geheimnis, Pitter: An manchen bierseeligen Abenden vor der Rallye habe ich im überschwellendem Selbstvertrauen mit dem Gedanken kokettiert, bei den Profis mitzufahren. Und ganz ehrlich, je länger die Etappen und Fahrtage wurden, um so weniger hab ich den Start bei den Amateuren bereut!

Weltcoolstes T-Shirt

400 km nach Missor, dem ersten Etappenziel. Im Laufe des Abends treffen die meisten ein, kümmern sich umgehend um kleine Reparaturen am Motorrad, das Roadbook für den nächsten Tag wird eingespannt, Wasser und Proviant ausgefasst, 20 Uhr Briefing mit Infos für den nächsten Renntag, 21 Uhr Abendessen.

Dinner für zwei HUNDERT!

Mit etwas Glück bleibt Zeit für ein kleines Bier und die neuesten Gerüchte von einem Glücklosen, der nach einem schweren Sturz den Ambulanzjet nach Hause nimmt. Leider bleibt er keine Ausnahme. Viele wissen nicht, dass die Hauptentscheidung für dieses Rennen erst in den Dünen des Erg Chebbi fallen wird. Speziell am Anfang der Rallye übernehmen sich, getreu dem Motto „Sieg oder Sarg“, viele der furchtlosen Risikofetischisten.

Im falschen Film

Diese Minderheit an Hitzköpfen und tollkühnen Heißspornen wird großteils auf natürlichem Weg ausselektiert, werden Opfer ihres Übermutes. An Unvernunft können auch die vier Notärzte wenig ändern und das 36-köpfige Organisationsteam hat anfangs so viel mit einem Dutzend Bergungen zu tun, dass die Listen mit Zeiten und Platzierungen am nächsten Morgen noch nicht fertig sind.

Max mag Mousse

Wach macht, was Krach macht. Nach immerhin sieben Stunden Tiefschlaf reißt uns Rammstein aus den Federn. Das ist ein einmaliges Gefühl: gleichzeitig mit dem knallharten Sound schießt es ins Bewusstsein, die nächsten Stunden mit dem Rallyemotorrad durch die Wüste zu jagen. Die Gockelhähne der Stadt sind auch völlig aus dem Häuschen. Kurzes Frühstück dann die Meldung, dass eine Brücke weggerissen wurde und der Start nicht wie geplant erfolgen kann. Du erinnerst Dich, sie war letztes Jahr schon mehr unter als über Wasser. Die erste Sonderprüfung muss kurzfristig gestrichen werden. Im Konvoi rollt der Rallyetross über einen Umweg mitten in die Wüste, wo an anderer Stelle in die Route gestartet wird.

Wolfgang im Sand

Und stell Dir vor, bei der harmlosen Konvoifahrerei (nur 40km) machen in den dichten Staubfahnen ein paar beratungsresistente Tiefflieger einen auf „Sehnenscheidenentzündungsgriff“ bis es wieder einen volles Programm zerlegt. Die haben auch manchmal ein Tempo drauf, dass man glaubt man fährt rückwärts. Auch seine Moppetten sieht nachher aus wie die Explosionszeichung aus einer Reparaturanleitung. Aber die hässlichen Geschichten lenken nur von Vernunft und Umsicht des Großteils aller Teilnehmer ab. Auch die Strecke ist genial, teilweise verläuft sie entlang der ehemaligen Dakar, endlose Ebenen, in denen Blumen blühen, durch schroffe Canyons und Flussoasen. Die ersten Sandfelder sorgen für Stürze, Felspisten auf hohe Pässe für prächtige Aussicht. Bei Einbruch der Dunkelheit Ankunft in Mersouga, einer kleinen Stadt am Rande des „Erg Chebbi“.

Bitt' schön, i sogs glei, i hobs ned zamgführt!

Dritter Tag. In den puderweichen Dünen des Erg Rissani kommen – speziell wir nicht so routinierten Sandfahrer - gleich an unsere körperlichen und mentalen Grenzen. Eine gute Stunde brauch ich für die ersten 5 Kilometer. Dann kocht im Motor das Öl und in mir die Wut! Erst versenke ich das Vorderrad im Tiefsand, fliege wie Supermann über den Lenker um dann eine Art Vogel-Strauss-Politik zu betreiben. Hätte Charlie Chaplin einen Film über Wüstenrallyes gedreht, er hätte es nicht grotesker hinbekommen. Nachdem man so einige Bodenproben genommen hat, erreicht man den Punkt wo das Hirn der Aggession Platz macht und kommt mit entfesselter Gashand halbwegs vernünftig weiter.

In der großen Sandkiste

Vierter Tag: die Königsetappe und Sand zum Abwinken. Von den knapp 200 Gestarteten Profis schaffen immerhin 50 die vier großen Runden durch den Erg. Die drei Dutzend Amateure bekommen zwei Runden vorgegeben und immerhin 12 Fahrer erreichen zeitgerecht den ersehnten CPF – „Check Point Finish“. Alle anderen dürfen natürlich im Rennen bleiben, kassieren aber ausgiebig Strafzeiten für jeden nicht angefahrenen Checkpoint. Bewährt hat sich heuer eine extrem stark verdunkelnde Sonnenbrille, so konnte ich im gleißenden Wüstenlicht auch nach Stunden halbwegs kontrastreich sehen.

Nach der Königsetappe

Wer weniger Lust auf Navigieren hat, kann seine Gesamtplatzierung beim Dünenrennen am fünften Tag verbessern. Ein relativ leicht zu findender Kurs mit Moto-Cross-Strecken ähnlichen Hochgeschwindigkeitsetappen und mehreren SCPs auf hohen Dünen muss mehrmals gefahren werden. Das schaffen die meisten und dürfen abschließend versuchen, den letzten Checkpoint auf der Hausdüne anzufahren. Das schaffen dann die wenigsten.

Endstation Hausdüne

Zu tief ist die Steilauffahrt durchwühlt, zu wenig Geschwindigkeit wird im Anlauf genommen. Zu Fuss und außer Atem wird die Zeitkarte oben abgegeben. Kannst Dir eh vorstellen, dass das eine der wenigen Stellen war, wo meiner 250er die Kraft gefehlt hat. Am Dünenkamm werde ich Zeuge einer außergewöhnlichen Einlage: Da kachelt einer high Speed den endlosen Steilhang hinauf, reißt 10m vorm Kamm noch mal das Gas seiner 690er auf und fährt das letzte Stück des Steilhanges am Hinterrad! Nochmals: Wheely auf der Hausdüne - die letzten zehn Meter am Hinterrad!! Was für ein wilder Hund! Er war so schnell, er musste oben mit der Fußbremse noch bremsen, um nicht über den Dünenkamm hinauszuschießen. Frenetischer Applaus und ehrfurchtsvolle Verneigung aller Anwesenden.

Dumm gelaufen

Nach drei großartigen Tagen im Sand packen wir unsere Siebensachen, laden die Rallyeboxen auf den Servicetruck (ja, Karl-Heinz war wieder dabei!), verlassen Nomadenzelte und den Erg und reisen ähnlich der Hinfahrt in zwei Tagen, aufgeteilt in Navigations- und Verbindungsetappen sowie noch ein paar Sonderprüfungen, zurück nach Nador.

Klaus und die Sonderprüfung

Ein paar Stunden vor der Fähre regnet es. Die allerletzte Navigationsetappe wird zur Rutschpartie und muss aus Sicherheitsgründen und damit alle rechtzeitig die Fähre erreichen, abgebrochen werden.

Max on TV

Der achte Renntag beginnt mit einer wunderbaren Kurvenorgie im südspanischen Bergland und endet mit einer letzten Sonderprüfung, einer schnellen zwei Kilometer langen Schotterstrecke durch einen Canyon hinunter in eine Bucht mit Sandstrand am Mittelmeer. Hier sammeln sich alle, um in Konvoi in das von Pensionisten belagerte Mojacar zu donnern. Auf einem Parkplatz steht das Podest, es gibt Champagner für die Sieger, Champagnerdusche für die Umstehenden und Bier für alle. Wer will, kann auf Holzbrettern das Restprofil seiner Reifen in heiße Rauchwolken verwandeln. Die Spannung lässt nach, wir haben es geschafft!

Restprofilentsorgung


Bierdusche - so sehen Sieger aus!

Vor der „Winnerparty“ bleibt noch Zeit, ich lasse es mir nicht nehmen, es mir mit einem kalten Bier in der Badewanne bequem zu machen.

Es gibt nur ein Gas - VOLLGAS!!

In diesem Sinne, Pitter, „Prost“ und möge der Grip mit Dir sein!

Wolfgang