1. AFRIKA - DIE ANREISE

Wien-Kairo. Rund 5500 Kilometer. 4.-20. Oktober 2005

Schwer zu beschreiben, das Gefühl, die Türen für einige Zeit hinter sich zu schließen und nach vielen Wochen der Vorbereitung nur mit sich und dem Motorrad auf eine lange Reise zu gehen.

Da ich Zeit habe, gehe ich es langsam an und rolle die mir schon gut bekannte Strecke nach Rumänien zum Eisernen Tor, wo sich die Donau auf 150 Meter verengt und ein großer Steinkopf streng auf die Vorbeireisenden blickt.

Bei Turnu Severin geht es 80 km durch Serbien. Ab Bulgarien wird es schwieriger, da ich bin wegen des Kyrillischen praktisch Analphabet bin. Die grobe Übersichtskarte im Maßstab 1:2 Mio. tut ihr Übriges und so verfahre ich mich gleich ein paar mal ganz ordentlich und ernte nur mitleidiges Kopfschütteln, wenn ich mich mal nach dem Weg erkundige. Dennoch finde ich das wunderschön in den Bergen gelegene Kloster Rila, das besonders im kühlen Herbstlicht prächtig aussieht.


Warum auch immer, die Schutzabdeckung der Antriebskette beschließt, sich vom Motorrad zu lösen, wird von der Kette zersägt und zwischen Schwinge und Reifen zerrieben. Mit Ersatzschrauben und ein bisschen Spucke war das wieder hinzukriegen. Das erste türkische Wort, das ich lerne, heißt "Werkstatt" (Sanayj). Der Zöllner hat es mich gelehrt, als ihm das voll beladene Motorrad fast auf die Füße gefallen ist. Der Seitenständer muss natürlich bei der Grenzkontrolle abreißen. Nicht zum letzten Mal auf dieser Reise landet die XT beim Schweißer. Einige Einladungen zum Tee und ein phänomenales Fischessen bei Sonnenuntergang in Istanbul entschädigen für die Umstände.




Wenig erfreulich sind die türkischen Spritpreise von bis zu 2 Euro pro Liter, da kommt die Reisekasse ins Schwitzen. Schlauerweise beginnt gerade der Fastenmonat Ramadan und kostspielige kulinarische Verführungen unterwegs halten sich durchaus in Grenzen. Da ich eine Woche mit dem Kärntner Sepp (er fährt eine KTM LC4) unterwegs sein werde, halbieren sich zumindest die Quartierkosten.

Durch Zentralanatolien tuckern wir mit beständigen 90-100 km/h am großen Salzsee Tuz Goelu vorbei, durch grasbewachsene Hügellandschaften, die sich im Abendlicht goldgelb vor dem dunkel werdenden Abendhimmel abheben. Klar, dass wir uns Kapadokien anschauen, bevor es auf Nebenstrassen nach Adana, nahe der syrischen Grenze, geht.
 

In Mersin bekommt die XT die neue Kette montiert, und Mehmet, von der einzigen Yamaha Vertragsfachwerkstätte in der Gegend, nimmt sich dankenswerterweise auch des plötzlich marodierenden Bremszylinders an. Abends machen wir mit Einheimischen und ein paar Bierchen den ersten Arabisch-Crashkurs. Bei der Aussprache wäre ein starker Raucherhusten als durchaus hilfreich zu betrachten.


Syrien empfängt uns mit Geisterfahrern und Schafen auf der Autobahn. Crak De Chevaliers ist der Name einer der größten und imposantesten Kreuzfahrerfestungen des Nahen Ostens. Bis zu 5000 Leute waren früher in der Anlage untergebracht, die der Feste Hohensalzburg durchaus ebenbürtig ist.

Wirklich tief sinken wir in Jordanien, genauer gesagt auf 400 Meter unter dem Meeresniveau und spielen Luftmatratze im Toten Meer.

Unterwegs ist ca. alle 10 km Militärkontrolle. Mache besser kein Foto, um nicht irrtümlich als Mossad-Sympathisant verhaftet zu werden. Akkaba erreichen wir wie seinerzeit Laurence von Arabien – von der Wüstenseite her und verschiffen uns und die Bikes nach Nuweiba, Ägypten.

Wie leicht sich das schreibt und wie unendlich, unbeschreiblich und umständlich die Wirklichkeit ist. Ich will es in einer Ultra-Kurzversion versuchen:

Hintergrund ist, dass genau dort der nordafrikanische (westliche) Teil der Moslemischen Welt und der asiatisch- oder nahöstliche Teil des Maghreb getrennt werden. Da liegt Israel dazwischen. Viel einfacher wäre es, über Land durch Israel nach Ägypten zu fahren, das wären nur ein paar Kilometer. Aber mit einem israelischen Stempel im Pass haben einen die Länder mit islamischer Regierung viel weniger lieb und lassen einen teilweise gar nicht ins Land. Auch der alte Trick mit Zweitpass hat durchaus seine Tücken!

Also, Versuch einer Zusammenfassung 10-stuendiger Bürokratie inkl. 1-stuendiger Schiffsfahrt von Akkaba nach Nuweiba: Fest nehme ich mir vor, NIE wieder über österreichische Behörden zu lästern. Bestellt waren wir für 8 Uhr. Um 8 Uhr 30 Schichtwechsel beim Personal am Ticketschalter. Ticket ausstellen. Werden zur Bank zum Zahlen geschickt, diese öffnet (überhaupt?) in einer Stunde. Retour zum Ticketschalter Pässe holen. Zur Polizei Ausreisestempel holen. Nächster Schalter Departure Tax zahlen. Zum Zoll Carnets (internationales Zollsicherheitsdokument für Motorrad) abstempeln lassen. Motorräder kontrollieren. Zurück zur Polizei, da Departure Tax nicht nötig, da wir Transit Touristen sind. Zurück zum Schalter – Geld zurückbekommen (welch Wunder!). Die Anzahl der Zettel, Frachtbriefe und Begleitpapiere etc. sind nicht rekonstruierbar, aber wir dürfen an Bord und mit GPS gemessenen 70km/h (!) geht's nach Ägypten. Kärtchen ausfüllen, 20ste Passkontrolle, und am Arrival Terminal erwartet uns Engel Chalid von der Tourist Police, ohne den wir nie und nimmer in Eigenregie durch die ägyptische Bürokratie durchgefunden hätten.

Solche Engel sollten noch öfters kommen und sind jeden Cent Trinkgeld wert. Also, die in den Rahmen gestanzten Fahrgestellnummern der Motorräder mussten mit Bleistift auf ein Formular durchgerubbelt werden. Sepp wird auf der Bank fast über’s Ohr gehauen, gut dass er aufgepasst hat. Ich mit den Carnets zum Unter, ein Formular ausfüllen, dann zum Ober, dieses unterschreiben. Nein, sie wollten nicht fotografiert werden, die Armen in ihren gammeligen Amtsstuben mit den grausigen zerfledderten Aktenbündeln, von denen eh keiner was wissen will. Dann zum Copyshop (ganz schön klingender Name für eine Baracke), Versicherung, Zulassungsstelle – überall Formulare und nach nur 3 Stunden haben wir die ägyptischen Kennzeichen am Bike. Und dabei hatten wir bereits gültige Visa im Pass!

Belohnt wird die Strapaze mit einer Hütte am Strand, durch deren Strohdach der Vollmond und die Sterne schimmern, leises Plätschern der Wellen und das gute Gefühl, in Afrika angekommen zu sein.

   

"Teeren und Federn!" – im Wilden Westen konnte das einem schon mal passieren. Afrika kann das auch. Die Strasse ist ohne Vorwarnung auf 100 Meter nicht nass von Wasser, sondern voll mit flüssigem, heißen Teer. Ich und Maschine nachher auch. Meine Laune sinkt auf ein Niveau noch unter dem Toten Meeresspiegel. Meine Freundin nennt das Charaktertest. Ich liebe sie. Irgendwann war ich wieder ok. Bei der Reinigung ist noch ordentlich Teer-Wasser Emulsion auf die Bremsen gekommen, was im Stadtverkehr von Suez zu einem gewissen Aha-Erlebnis geführt hat. Aber wozu hat man nicht einen 23 Liter Tank extra für Reinigungsbenzin am Motorrad, und Sprit kostet in Ägypten 0,15 Euro, und das tut sehr, sehr gut.

Und noch ein Traum wird wahr: der Suez Kanal. Abendessen und morgens das Frühstück mit Blick auf den Kanal – und den großen Schiffen zuschauen, wie sie vorbeifahren und sich die Fahrt um einen ganzen Kontinent sparen!

Weiter geht's nach Kairo ...

 

 


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1. Reisebericht: Wien-Kairo. 04.-20.10.2005 | Wolfgang Niescher | www.globebiker.com–––––––––––––––––-–>> zum 2. Reisebericht

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